Landwirtschaft in der Region

Treckerfahren ist politisch!
 

In diesen Tagen starten auch in Niedersachsen zahlreiche Bäuerinnen
und Bauern mit ihren Treckern Richtung Berlin. Sie nehmen am 18.
Januar an der “Wir haben es satt!“-Demo teil.

 

Auch Wolfram Höhn hat sich vom Rathaus in Westoverledingen (Landkreis Leer) aus auf den Weg gemacht. Ihr gemeinsames Ziel ist, bis 2035 in Deutschland flächendeckend umwelt- und klimaschonenden Ackerbau zu praktizieren und ihre Nutztiere artgerecht zu halten.

Die Anreise zur Demo kostet die Landwirte nicht nur viel Zeit, sondern auch eine Menge Geld. Sie können ihr Engagement unterstützen und eine Treckerpatenschaft übernehmen.

 

Text: BUND Niedersachsen Januar 2020

Keine Zukunft für unsere bäuerlichen Betriebe? - Interview mit Ottmar Ilchmann

Ein Gespräch der Arbeitsgemeinschaft Naturschutzverbände Unterems (BSH, Nabu, BUND) mit Ottmar Ilchmann, Klostermoor, Nieders. Landesvorsitzender der ABL, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und stellvertretender Bundesvorsitzender, einer Interessenvertretung kleinerer und mittlerer bäuerlicher Betriebe mit ca. 2000 Mitgliedern bundesweit.

Arbeitsgemeinschaft:
Weswegen hast du dich der ABL angeschlossen?

 

Ottmar Ilchmann:
Entstanden ist die ABL aus der Unzufriedenheit junger Landwirt vor allem mit dem Bauernverband (Landvolk) und deren falscher Politik.  Wichtig sind uns ein Dialog und  Bündnisse mit gesellschaftlichen Gruppen, die auch an der Landwirtschaft interessiert sind, wie Umweltverbände, Tierschutzgruppen, Verbrauchervertreter, kirchliche Zusammenschlüsse (z.B. Misereor), u.a.

Arbeitsgemeinschaft:
Warum gerade auch ein Interesse an den Naturschutzverbänden?

Ottmar Ilchmann:
Landwirtschaft gerät durch zunehmende Intensivierung und Größenwachstum in das gesellschaftliche Abseits. Es muss ein Dialog geführt werden, der Wege zu einer gesellschaftsverträglichen Landwirtschaft findet. Die Partner sind die bäuerlichen Betriebe.

 

Arbeitsgemeinschaft:
Was können bäuerliche Betriebe besser?

 

Ottmar Ilchmann:
Hier in Klostermoor gibt es inzwischen drei Biogasbetriebe, Großbetriebe, deren Standorte weit weg sind. Wir erleben es, dass ohne Rücksicht Gülle gefahren wird, oft direkt vor großen Feiertagen. Der Bauer vor Ort hat eine bessere Einbindung in das dörfliche Umfeld.
Das zweite Beispiel: Bauern kennen ihre Flächen ganz genau. Sie wissen, wo noch seltene Vögel brüten und mähen oder walzen die Nester nicht kaputt.

Arbeitsgemeinschaft:
Genau! Ich habe gerade mit einem Nachbarn von dir eine Absprache getroffen, wo noch Nester von Uferschnepfen, Brachvögel und Kiebitze sind.

Ottmar Ilchmann:
Zu große Bestände an Tieren verhindern z.B. den Weidegang der Rinder oder den Auslauf für Hühner.

 

Arbeitsgemeinschaft:
Gerade die Küken der Wiesenvögel sind aber auf Rinder draußen angewiesen, weil sie täglich Hunderte von Fliegen und Mücken fressen, die sich an Rindern befinden.

 

Ottmar Ilchmann:
Wichtig für uns ist, dass sich auch die gesellschaftlichen Gruppen für den Erhalt der bäuerlichen Betriebe einsetzen. Dass jeder versteht, warum man nicht auf sie verzichten darf.

 

Arbeitsgemeinschaft:
Kommen wir zur aktuellen Krise. Was passiert da im Augenblick?

 

Ottmar Ilchmann:
Die Preise bei Milch und Schweinefleisch sind weit unter Kostendeckung, ausgelöst durch Überproduktion. Viele Betriebe haben erweitert, zuviel Menge auf dem Markt. Der Wegfall der Quote verschärft das Problem.
Molkereien wie DMK   (Deutsches Milchkontor) und Großschlachter (Tönnies) sind auf dem Weltmarkt sehr erfolgreich. Die Bauern subventionieren sie durch niedrige Preise.

 

Arbeitsgemeinschaft:
Wie könnte eine Lösung des Problems aussehen?

 

Ottmar Ilchmann
Zunächst eine europaweite Mengenreduzierung für die Dauer der Krise. Molkereien müssen die Menge verringern. Bauern erhalten Bonus für weniger Lieferung, wer mehr liefert bekommt Abschlag. Die Molkereien sind daran natürlich nicht interessiert, weil sie bei den niedrigen Preisen bestens profitieren

 

Arbeitsgemeinschaft:
Welche Bedeutung haben die niedrigen Preise für den einzelnen Bauern?

 

Ottmar Ilchmann
Bauern leben von der Substanz, Ersparnisse sind oft aufgebraucht, Lebensversicherungen werden verkauft, sogar  landwirtschaftliche Flächen. Oder  man lebt auf Kredit, wenn man noch einen von der Bank bekommt, sonst ist Schluss. Überschuldet sind aber interessanterweise meist die Wachstumsbetriebe.

 

Arbeitsgemeinschaft:
Hier in Nordwestdeutschland gibt es auch einige regionale Konfliktfelder, die wir ansprechen wollen. Zunächst die Gänserast im Winter.

 

Ottmar Ilchmann
Das System der Zahlungen an die Bauern muss geändert werden. Man muss sich stärker an den tatsächlich auftretenden Schäden orientieren und nicht nach dem Gießkannenprinzip auszahlen. D.h. es müssen genaue Bestandsaufnahmen durchgeführt werden, wobei die Naturschutzverbände mit einbezogen sein sollten. Die Schäden müssen dann auch voll ausgeglichen werden.

Arbeitsgemeinschaft:
Die Zahl der Wiesenvögel (Kiebitz, Uferschnepfe, Brachvogel,…) hat in den letzten Jahrzehnten rapide abgenommen, z.B. haben wir 1987 im Bereich Ems (Hammrich) von Völlen bis zur Leda noch 120 Paare Uferschnepfen gezählt, 2014 hat kein einzigen Paar mehr dort gebrütet. Inzwischen sind die meisten Wiesenvögel auf der Roten Liste mit 1 gekennzeichnet, d.h. vom Aussterben bedroht.

 

Ottmar Ilchmann
Nur bäuerliche Betriebe können hier auf Dauer helfen. Bauern und Naturschützer arbeiten auf der unteren Ebene zusammen. Beide Seiten können durch eine besser angepasste, extensive Bewirtschaftung Vorteile haben. Die öffentlichen Programme könnten flexibel abgestimmt werden. Bei der Bedrohung der seltenen Arten muss auch mehr Geld fließen.

 

Arbeitsgemeinschaft:
Ottmar, du kritisierst das Abkommen des Landesverbandes Nabu mit der Torfindustrie, dass Moorwiesen weiter abgetorft werden dürfen.  Was sind deine Gründe?

 

Ottmar Ilchmann
Die Flächengröße insgesamt für die Landwirtschaft nimmt immer mehr ab. Dadurch wird auf den Restflächen noch mehr intensiviert. Durch Abtorfung auf Gründlandflächen verstärkt sich noch der Druck. Anschießend sollen diese Flächen zwar Naturschutzgebiete werden. Die Wiesenvögel profitieren davon wenig, weil sie, wie der Name schon sagt, auf Wiesen und Weiden zuhause sind.

 

Arbeitsgemeinschaft:
Die bäuerlichen Betriebe bekommen immer mehr Schwierigkeiten. Wie könnte eine Landwirtschaft aussehen, die den Bauern eine Lebensgrundlage bietet und gleichzeitig die ökologischen Probleme löst?

 

Ottmar Ilchmann
Zunächst einmal, weg von der Massenproduktion für den sog. Weltmarkt  hin zu einer regionalen mit besserer Qualität für den heimischen Markt . Ich denke z.B. an Weidemilch aus Ostfriesland. Dafür würden viele Kunden gerne einen etwas höheren Preis zahlen. Die Landschaft würde erhalten bleiben mit viel Grünland, offener Landschaft, die Touristen würden gerne kommen. Wer hat schon Lust durch Maisfluren zu fahren! Also Klasse statt Masse!

 

Arbeitsgemeinschaft:
Wie könnte das entsprechend verwirklicht werden?

 

Ottmar Ilchmann
Betriebe müssen durch den Verkauf ihrer Produkte leben können. Das heißt natürlich, dass die Preise moderat angehoben werden müssen. Das Prämiensystem könnte an der Förderung für die gesellschaftlichen Leistungen ausgerichtet werden. Weg von der Gießkannenförderung. Bessere Förderung der ersten Hektare, damit kleinere Betriebe erhalten bleiben.
Ich denke, eine vielfältige bäuerliche Landwirtschaft ist die Lebensgrundlage für die dörfliche Gemeinschaft und die soziale und ökologische Gesamtentwicklung unserer Gesellschaft.

 

Arbeitsgemeinschaft:
Ottmar, ich danke dir für dieses Gespräch.

 

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